Degupedia:Geschichten/Spike
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Spike
Mein Leben begann eigentlich ganz unbeschwert. Ich kam in einem Nest in einer kleinen Holzhütte zur Welt. Naja, das Heu war nicht mehr ganz frisch, aber das störte mich noch nicht weiter. Ich hatte noch eine Schwester. Ich war glücklich. Manchmal schaute mein Vater herein.Ein netter Kerl eigentlich.
Schon bald kroch ich nach draußen, und war mächtig stolz als ich zum ersten Mal die Hütte umkreist hatte. Bald wollte ich weiter springen, die Welt erkunden, der Herr der Steppe sein! Doch ich ahnte nicht, dass ich bereits die halbe Welt erkundet hatte. Oh, wie groß war die Enttäuschung! Ich wollte weiter, höher, ich wollte alles sehen. Aber da war nichts. Als ich richtig springen konnte, musste ich erkennen, dass ich mit 2 Sprüngen von jedem beliebigen Fleck in diesem muffigen, öden Käfig an jeden anderen Fleck gelangen konnte. Das Leben war so langweilig, und je größer ich und meine Schwester wurden, desto enger wurde es für uns vier.
Manchmal wurde die Tür geöffnet. Dann durften wir nach draußen. Aber nicht rennen, nur auf unserem Herrn oder seinen Besuchern klettern. Aber es war eine Abwechslung, und mehr Kletterei als es im Käfig möglich war. Mein Vater wollte nie nach draußen. Erst verstand ich nicht warum. Ich beneidete ihn sogar. Er war schließlich der Einzige von uns, der einen Namen besaß! Trotzdem wollte er nicht, aber sie holten ihn immer. Vor allem wenn Besuch da war. Ich weiß nicht was er da draußen erlebte, aber alle lachten. Mein Vater nicht. Wenn er zurückkam, war er immer ganz ruhig. Manchmal weinte er. Ich wollte dann auch nicht mehr raus.
Aber eines Tages kam eine Fremde. Sie schien unseren Herrn gut zu kennen. Mutter erzählte mir, dass sie früher bei ihr gelebt hatte. Sie erzählte von einem Käfig, der größer war als alles, was man sich hier vorstellen konnte. Natürlich war es nur ein Käfig, sagte sie. Früher träumte sie von der großen Freiheit. Jetzt, sagte sie, jetzt wäre es schon ein Traum, wenn wir einen Käfig hätten, der nur halb so groß wäre wie der, in dem sie geboren wurde. Denn er wäre immer noch um ein vielfaches größer als dieses Gefängnis. Bestimmt übertreibt sie, dachte ich.
Die Fremde öffnete die Tür. Sie griff nicht herein und versuchte meinen Vater zu fangen, so wie es sonst alle taten. Sie saß nur da und wartete. Meine Schwester und ich kletterten nach draußen auf ihre Hand. Den Arm hinauf und hinunter. Plötzlich drehte sie mich auf den Rücken und sah mich an. Es dauerte nur einen Augenblick, aber ich erschrak etwas. Meiner Schwester erging es ebenso. Ich weiß nicht was sie wollte, aber wir durften dann gleich zurück zu unseren Eltern. Dann gingen sie aus dem Zimmer und es wurde wieder still. Wochen vergingen. Ich wuchs heran. Sieben Wochen war ich alt, da kam sie wieder. Wieder ließ sie uns auf ihre Arme klettern. Wieder drehte sie uns um, doch dann... Es war das letzte Mal für eine lange Zeit, dass ich meine Schwester sah. Als ich zurück in den Käfig kam, waren meine Mutter und meine Schwester fort. Die Fremde ging, es wurde still, und ich war allein mit meinem Vater. Aber er war nicht zum Spielen zu gebrauchen. Die Monate vergingen, und während ich am eigenen Leib erfahren musste, wovor sich mein Vater draußen so fürchtete, und mich dann durch meine jugendliche Schnelligkeit den Griffen unseres Herrn meist entziehen konnte, erwischten sie meinen Vater jedes Mal. Er wurde immer trauriger, müder, dicker und grimmiger. Manchmal hatte ich Angst vor ihm.
Als die Fremde eines Tages wiederkam, war mein Vater blind geworden. Sie sah uns an und hob einen Lebkuchen auf, der vor dem Käfig lag. Ich sprang ans Gitter, weil ich glaubte, sie würde mir davon geben, so wie es unser Herr oft tat. Aber ich bekam nichts. Sie redete nur besorgt mit unserem Herrn, und legte den Lebkuchen zurück. Wieder ließ sie mich auf ihr klettern, doch meine Schwester sah ich auch an diesem Tag nicht wieder. Dann war sie erneut fort, und unser Herr gab uns endlich den Lebkuchen. Wenige Wochen später starb mein Vater. Ein Jahr war ich nun alt, und völlig allein. Die Tage vergingen, und ich war unendlich traurig. Dann kam die Mutter unseres Herrn herein. Sie steckte mich in eine dunkle Schachtel. Ich hatte Angst, aber was sollte nun noch geschehen? Irgendwo wurde ich hingebracht. Es roch fremd und beängstigend, als sich die Schachtel öffnete. Ein Mann zog mich heraus, hielt mich mit einem eisernen Griff fest, und sah mich an. Plötzlich verspürte ich einen tiefdringenden Schmerz. Ich schrie, doch niemand half mir. Eine merkwürdige Kälte breitete sich in meinem Körper aus. Ich wurde unendlich müde, dann wurde es dunkel. Aber es war nicht der Tod. Als ich erwachte, tat mein Bauch weh und es ging mir gar nicht gut. Ich wollte jetzt einfach nur sterben. Doch die Mutter meines Herrn kam zurück. Wieder die Schachtel, wieder die seltsame Reise, wieder zu Hause. Wieder allein, wieder der stinkende alte Käfig.
Doch dann kam die Fremde zurück, und diesmal trug sie mich fort. Ja, nimm mich doch mit, tut doch was ihr wollt mit mir, lasst mich einfach sterben! Es war mir egal. Doch als die Reise zu Ende ging, hörte ich Rufe! Ich spitzte die Ohren und rief zurück, und sie antworteten. Ich kannte diese Stimmen, es konnte nicht anders sein! Vier Degus erwarteten mich, und unter ihnen meine Schwester und meine Mutter! Ich war unendlich glücklich, wollte sie umarmen und kraulen... doch ein Gitter trennte uns! Oh es hätte so schön sein können! Ich versuchte die Gitterstäbe zu zerbeißen, meine Schwester half mir von der anderen Seite. Es schien hoffnungslos, aber dann endlich öffnete meine neue Herrin das Gitter für uns. Wir fielen uns in die Arme, ich konnte es kaum fassen sie endlich wieder zu sehen. Die beiden Fremden kamen und beschnupperten mich vorsichtig. Ich kannte sie nicht, aber sie rochen vertraut. Es waren meine Großmutter und ihre Schwester, wie ich später erfuhr. Die ersten Nächte musste ich hinter engen Gitterwänden verbringen, doch meine Familie kam ganz nah ans Gitter und ließ mich mit ihnen kuscheln so gut es ging. Tagsüber erkundete ich mein neues Zuhause, das so viel größer war als alles was ich bisher gesehen hatte. Meine Mutter hatte damals nicht übertrieben. Nun endlich durfte ich meine Beinchen wirklich zu dem benutzen wozu sie da sind, und so schnelle, große und viele Sprünge machen wie noch niemals zuvor. Erst recht wenn ich es wagte aus dem Käfig zu kommen, doch bis heute ist mir nicht wohl dabei. Manchmal denke ich an diesen Tag zurück. Der Tag, an dem ich meine Familie wiedersah, der Tag, an dem ich erfuhr was frisches Heu ist und ein sauberes Nest. Der Tag, an dem ich endlich einen Namen bekam.
Mein Name ist Spike, und diese Geschichte ist wahr.