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Biotechnologie - Lebewesen sind keine Maschinen (Interview)

 
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davX
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Anmeldungsdatum: 08.06.2004
Beiträge: 8494
Wohnort: Schweiz

BeitragVerfasst am: 11.03.2015 04:29    Titel: Biotechnologie - Lebewesen sind keine Maschinen (Interview) Antworten mit Zitat

Huhu,

ein interessanter Beitrag zu einem hochspannenden Thema. Es geht um ein Interview mit der Agrarökologin Angelika Hilbeck zum Thema Biotechnologie. Im Zentrum stehen die Gene... aber lest selbst:

http://www.woz.ch/1509/biotechnologie/lebewesen-sind-nun-mal-keine-maschinen

Ich möchte euch wirklich ans Herz legen, den ganzen Text zu lesen, aber wer es eilig hat, hier vorab ein paar Zitate und m.E. wichtige Aussagen:

Zur Präzision der Techniken und zum Verständnis der Forscher, was sie tun:
Zitat:

...wir plagen uns ja immer noch mit den Organismen herum, die nach den alten Verfahren entstanden sind. Und vor allem staune ich, wenn ich die Publikationen über die neuen Verfahren lese. Da heisst es überall, jetzt sei alles besser im Vergleich zu den kruden bisherigen Methoden, jetzt sei alles viel sicherer … Genau die Kritik, die wir zwanzig Jahre lang äusserten und die von den Entwicklern als esoterisch abgestempelt wurde, soll jetzt als Argument für die neuen Verfahren dienen? Das finde ich ziemlich heuchlerisch.


Zitat:

Aber ist die neue Gentechnik jetzt besser oder nicht?
Die neuen Verfahren greifen immer noch in genetische Prozesse ein, die wir in ihrer Gesamtheit kaum kennen. Eine beliebte Technik ist das «silencing», das Stilllegen von Genen. Da spielt man auf einer Klaviatur, deren Zusammenspiel der Töne man bei weitem noch nicht genau begreift. Und dem Ganzen liegt immer noch die Idee zugrunde, dass Gene lineare Konstruktionsanweisungen seien, Baupläne für Organismen. Wir wissen aus der Grundlagenforschung der Genetik je länger, desto mehr, dass dem nicht so ist. Gene sind meistens multifunktional. Wenn man ein Gen stilllegt, weil es eine Eigenschaft kodiert, die man nicht mehr haben will, muss man damit rechnen, dass noch ein paar andere Dinge ab- oder umgeschaltet werden. Sie greifen in ein Netzwerk von rückgekoppelten Prozessen ein, in dem sie nur einen Abschnitt kennen.


Zum An- und Auschalten von Genen:
Zitat:

...wir [haben] erst in den letzten zehn Jahren so richtig verstanden, dass es noch eine Ebene darüber gibt, nämlich die Epigenetik: Wir haben gelernt, dass Lebewesen im Lauf ihres Lebens Eigenschaften erwerben können, die zwar nicht ihr Genom verändern, aber dennoch an ihre Nachkommen weitergegeben werden. [...] Das hat mit diesem An- und Ausschalten von Genen zu tun; das An- und Abgeschaltete kann weitergegeben werden. Manche Grundlagenforscher gehen noch weiter und stellen das Konzept «Gen» selbst infrage. (...)


Zur Funktionsweise der Gene und Wechselwirkungen:
Zitat:

Ich vergleiche den Zellkern immer mehr mit einem Ökosystem. Da geht es zu und her wie auf einer Erde im Kleinformat.

[...]

Alles ist in einem permanenten Anpassungsprozess, im Fluss: Sobald Sie Ihre Hand aus dem Fenster strecken, fangen die Zellen an zu reagieren und schützen Sie [...] einige Grundlagenforscher sprechen von «fluiden Genomen», permanenter Veränderung. Das heisst, innerhalb bestimmter Regeln und Grenzen entstehen laufend neue Eigenschaften, die aus dem linearen Zusammenwirken ihrer Einzelteile nicht zu erklären sind. Je nachdem, wo das Gen ist, kann es anders wirken.


Zum Vergleich die Vorstellung in der angewandten Wissenschaft:
Zitat:

Ich finde es verblüffend, wie wenig diese Grundlagenforschung Eingang findet in die angewandte Biotechnologie. Dort herrscht der totale Reduktionismus, bis hin zu Fantasien von synthetischen Gehirnen oder vom molekularen Computer: Man stellt sich vor, dass man mit den vier Bestandteilen der Gene, den Nukleotiden, Baupläne erstellen und daraus Organismen zusammenbauen kann – also den binären durch einen quartären Code ersetzen. Wäre ja toll, wenn es so einfach wäre.


Auch das Thema Wissenschaft und Religion bzw. Kirche wird angesprochen, bzw. der Glaube an eine Idee, der man nicht widersprechen darf. Interessant ist, welcher Wandel die Zeit da durchgemacht hat. Die Wissenschaft stand einst für Freiheit, Offenheit, Neugier, aber auch Skepsis. Heute ist in gewissem Sinne eine Kommerzialisierung im Gange, die angewandte Wissenschaft verselbständigt sich, koppelt sich ab von der Grundlagenforschung und die Geldgeber haben oft auch keine Ahnung von der Materie und glauben leichtgläubig, was ihnen überzeugte Anhänger einer Theorie erklären, ohne sich mit der Kritik der Skeptiker aufzuhalten...

Was mir gefällt, sind die klaren und deutlichen Worte, so auch wieder am Schluss:
Zitat:

Es ist kein Zufall, dass bis heute nur zwei Eigenschaften bei gentechnisch veränderten Nutzpflanzen einigermassen funktioniert haben: das Bt-Gift und die Herbizidresistenz. Wenn man davon absieht, dass gegen beide Eigenschaften Resistenzen grassieren – was vorausgesagt wurde. Und es ist auch kein Zufall, dass diese beiden Eigenschaften keine Pflanzenkrankheiten sind. Krankheiten sind komplexer, die Erreger können sich sehr schnell anpassen. Hier stösst die Gentechnik bislang an Grenzen, weil sie nur simple Eigenschaften manipulieren kann, die durch Einzelgene gesteuert werden. Abgesehen davon gibt es ja schon krautfäuleresistente Kartoffeln – ohne Gentechnik gezüchtet. Es sind einfach noch nicht so beliebte Sorten.


Das Ganze hat für mich aber auch eine erschreckende Komponente. Man weiss zwar, dass GVO irgendwie nicht gut ist, aber irgendwie hat man sich auch halbwegs damit abgefunden: Der Glaube, dass wir uns zu 100% von GVO-Produkten schützen können, das wäre eine Illusion. Aber dennoch, die Deutlichkeit, in der hier nicht nur die Gefahren von GVO erläutert wurden, sondern auch die Zusammenhänge und vor allem auch die grossen Defizite der GVO-Forschung machen deutlich, welchen Einfluss die Propaganda einer allzu optimistischen Biotechindustrie auf uns haben. Nein es ist nicht objektiv und sachlich neutral, wenn man GVO befürwortet, man muss kritisch sein, es gibt Schwächen und es fehlt der Wille, dass wirklich versucht wird mit Langzeitversuchen Erfahrungen zu sammeln und in Ruhe die Sache zu erforschen, statt sofort neue Technologien monetarisieren zu wollen. Der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft ist daher verantwortungslos und kurzsichtig.
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