davX Team
Anmeldungsdatum: 08.06.2004 Beiträge: 8494 Wohnort: Schweiz
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Verfasst am: 17.08.2014 13:14 Titel: Entwicklung der Ratgeberliteratur |
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Huhu,
die meisten von euch haben wohl den einen oder anderen Tierratgeber. wer sich mit älterer Literatur beschäftigt, der weiss, dass diese Form von Literatur noch nicht so alt ist und in den letzten Jahrzehnte eine starke Entwicklung durch gemacht hat. Besonders erwähnenswert ist auch, dass sie stark an die Verlage gekoppelt ist, welche sich damit beschäftigt haben.
Ich will mal erst in groben Zügen charaktersisieren, wie sich die Sache entwickelt hat:
Ich beginne mit dem 20. Jahrhundert, da es mit der Literatur zuvor teilweise schon schwierig wird und auch die Publikationen etwa ab dem 20. Jahrhundert deutlich zunahmen... man kann das Thema aber gerne noch ausweiten.
Entwicklung der landwirtschaftlichen Literatur
Der Beginn des 20. Jahrhunderts war geprägt von grossen Umwälzungen, welche auch die Landwirtschaft voll erfassten und ihren Anfang etwa 50-100 Jahre früher hatten. Sie führte weg von natürlicher Fütterung und ermöglichte es langsam, aber kontinuierlich, dass industrielle Futtermittel im Alltag der Landwirte Einzug hielten. Auch auf die sonstige Tierhaltung, die Unterkunft und Haltungsmethoden hatte das Einfluss. Fortschritt galt damals die Rationalisierung, die Mechanisierung und intensive Tierhaltung. Landwirtschaftliche Literatur kam auf, welche den Bauer bei der Umstellung auf die "modernen" Methoden anleiten soll... natürlich viele Landwirte waren keine grossen Bücherwürmer, die sich durch die intelektuellen Werke der Professoren, Versuchsstationsleiter usw. durchlasen. Ein wichtiger Anteil hatte da auch die landwirtschaftliche Presse und vieles an Wissen ging auch durch Mund zu Mund Propaganda und den persönlichen Kontakt weiter. Dennoch gewann die landwirtschaftliche Literatur an Bedeutung. Zu ihr gehörte auch die Tierzucht.
Die Pelztierzucht
Parallel zu ihr entstand um die Pelztiere eine Industrie, die sich darauf spezialisierte, die im 19. Jahrhundert noch im grossen Stil in der Wildnis gefangenen Tiere, in Menschenobhut nachzuzüchten und vor allem auch durch Auslese und züchterische Massnahmen (Charles Darwin, Mendel und Co. schuffen bekanntlich zeitnah die entsprechenden Grundlagen zum besseren Verständnis der Tierzucht) die Pelzqualität im Vergleich zum Angebot bei den Wildtieren zu verbessern. Aber auch das langsame Aussterben einiger stark gejagten Arten (wie zum Beispiel Chinchillas) zwang ebenfalls zu einem Umdenken. Die Zucht der Pelztiere wurde also durch verschiedene Umstände begünstigt, einerseits das Schrumpfen der Bestände und der zunehmende Aufwand und sinkende Ertrag der Wilderei, andererseits das theoretische Wissen und mit der zunehmenden Industrialisierung in der Landwirtschaft und Industrie wurden zudem die Rahmenbedingungen für eine Massentierzucht geschaffen, welche eine rentable Pelztierzucht in grossem Stile ermöglichten.
Entwicklung der Verlagslandschaft
Wie ich schon erwähnt habe, spielten die Verlage eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung der Ratgeberliteratur. Entdeckte ein Verlag die Marktlücke der Tierliteratur oder das Wachstumspotenzial, wurde mit einem Programm, das nach und nach ausgebaut wurde, diese Lücke gefüllt. Doch bevor Bücher produziert wurden, gab es häufig erst mal Beiträge in den Zeitschriften. Zu Beginn des 20. Jahrunderts war das die landwirtschaftliche Presse, speziellere Publikationen wie zum Beispiel die Geflügelbörse und die aufkommenden Pelztierzeitschriften.
Und wahrscheinlich gab es in den bürgerlichen und adligen Kreisen, gerade in den städtischen Gebieten seit längerer Zeit sicher auch eine ausgeprägte Tierhaltung und entsprechende Literatur und Beiträge in derer Presse. Ich denke da an Hermeline, Hunde, Pferde, Brieftauben... ich klammere das aber hier erst mal aus, da ich mich bisher zu wenig damit beschäftigt habe.
Einfluss der Weldkriege - Notstand als Triebfeder
Doch zurück zu den landwirtschaftlichen Verlagen und den Pelztierzüchter. Mit den beiden Weltkriegen kam der Notstand über die Bevölkerung. Dies löste den ersten Boom von Ratgeberliteratur aus, an dem landwirtschaftliche Verlage einen starken Anteil hatten. Das war jedoch keine Plauschliteratur, sondern Anleitung zum Überleben. Plötzlich war es wieder wichtig, dass man unabhängig im eigenen Garten Gemüse anbauen kann und eben auch, da Fleisch knapp war, dass man mit der Kaninchenhaltung sich sein eigenes Fleisch heranzüchten konnte.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde es dann wieder ruhiger, aus dem Notstand wurde bald Wohlstand und die Bevölkerung war auf der Suche nach neuen Erwerbsmöglichkeiten. Auch die Pelztierzucht profitierte davon und durch Schneeballsysteme kam es nach und nach zur Mode, dass immer mehr Privathalter in die Tierzucht einstiegen. Die Händler boten an, dass sie die Tiere zu garantierten Preisen abnehmen und dass man damit viel Geld verdienen könne. In der Realität waren diese Schneeballsysteme längst nicht so rosig, wie es den Leuten weis gemacht wurde, doch es befeuerte den Markt. Insbesondere die Chinchillazucht erfuhr etwa ab den 1950er Jahre einen grossen Zulauf und Verlage wie der Albrecht Philler Verlag in Minden, profitierten von dem Boom.
Aquaristik und Terraristik
Ein weiteres Feld, das sich seit den 1950er Jahre stark entwickelte und langsam in der breiten Bevölkerung ankam, war die Aquaristik und als deren Anhängsel die Terraristik (die Terrarianer waren oftmals auch langjährige, angefressene Aquarianer) und aus dem löste sich etwa in den 1980er und 1990er langsam die Terraristik als eigenständiges Feld ab, insbesondere auch mit den Bemühungen des Natur- und Tierverlags, der mittlerweile mit der DATZ eine der ältesten und grössten Aquarianer-Zeitschriften geschluckt hat (diese wurde zuvor vom Eugen Ulmer Verlag herausgegeben).
Anfänge der modernen Ratgeberkultur
Etwa in den 1970er Jahren stiegen zunehmend andere Verlage in das Geschäft ein, Verlage wie Gräfte & Unzer, Falken, Frankch-Kosmos, Eugen Ulmer, Oertel und Spoerrer oder auch der Landbuch-Verlag (heute Cadmos). In der DDR wäre zudem noch der Deutsche Landwirtschaftverlag (VEB) zu nennen. Der Grund für diese Entwicklung dürfte wohl sein, dass die Tiere immer mehr als Hobby und nicht als Nutztiere gehalten wurden, während die Nutztierzucht ausserhalb der grossen landwirtschaftlichen Arten der Fleisch-, Milch- und Eiergewinnung, nach und nach an Bedeutung verloren. Dazu kam, dass zunehmend auch Exoten, welche aus der Labortierhaltung und den Zoos und später vermehrt auch Wildfänge in den Zoohandel und letztlich in die Wohnzimmer der Leute gelangten. Zuvor wurden vor allem einheimische Wildtiere und teilweise gerade in der Aquarianer-Szene auch exotische Nagetiere und Säuger in Terrarien gehalten, die man zusammen mit Fisch- oder Echsenimporte als seltener Beifang mitnahm. Es war aber eine ganz andere Klientel, als später jetzt mit dem Vertrieb über Zoogeschäfte.
Aufbruch in ein neues Jahrtausend
Die 1990er Jahre läuteten das neue Jahrtausend ein. Einer der grossen Trends waren neue exotische Nager. Nachdem in den 1970er und 1980er Jahre Rennmäuse, Hamster und Co. als Exoten sich langsam etablierten, waren es jetzt Degus, Stachelmäuse, Präriehunde, Lemminge und Co. Einen Höhepunkt erlebten die Exoten etwa um das Jahr 2000, als exotische Nager voll im Trend waren und sich das auch in der Forenlandschaft abbildete. Viele Exotenforen sind mittlerweile tot. Was sich halten konnte, sind die klassischen Nagetiere und auch ein paar ehemalige Exoten sind mittlerweile etabliert. So zum Beispiel Degus und Lemminge.
Die Konkurrenz des Internet und der Druck auf die Verlage durch den Wandel in der Branche durch die Digitalisierung führte zu einigen Umwälzungen. Viele Verlage verschwanden oder gaben ihre Heimtiersparte auf oder an die Konkurrenz weiter (z.B. Einverleibung von bede zu Eugen Ulmer oder die Abgabe der DATZ von Eugen Ulmer zum Natur- und Tier-Verlag). Einer der grossen Profiteure war jedoch der Natur- und Tierverlag. Durch ein hohes Engagement und einen guten Ruf für Qualität konnte sich der Verlag in der Terraristik zum Marktführer entwickeln, was dem Verlag ein solides Standbein verschafft. Auch in der Nager- und Kleinsäugersparte lässt er die Konkurrenz qualitativ hinter sich trotz einigen Defiziten. Mithalten kann da sonst nur, wer günstig genug ist und gute Strategien hat, für die breite Massen zu publizieren.
Vergleich der verschiedenen Einflüsse
Interessant ist es die Entwicklung zu beobachten, bei der Kleinsäugerhaltung sind verschiedene Einflüsse feststellbar. Einerseits wäre da ein ganz starker Einfluss von der Landwirtschaft bei der Haltung von Kaninchen und Meerschweinchen, beide Arten sind bis heute unangefochten an der Spitze der meist gehaltenen Heimtiere. Ursprünglich waren es landwirtschaftliche Tierbörsen, an denen diese Tiere gehandelt wurden. Während die Bauern sich um neue Kühe, Schweine, Ziegen und Pferde usw. kümmerten, wurden nach und nach die Kaninchen zu Spieltiere für den landwirtschaftlichen Nachwuchs. Auch Meerschweinchen wurden gelegentlich gehandelt und fielen meist in die Verantwortung der Kinder. Neben den Börsen und landwirtschaftlichen Märkten gab es natürlich auch einen privaten Handel untereinander, wenn es wieder mal Nachwuchs gab.
Mäuse und später auch Ratten wiederum wurden in eher städtischen Kreisen gehalten. Sogenannte Fancy Mice waren in England ein grosser Renner und die Welle schwappte auch auf das Festland über. Vermutlich waren sie die ersten Tiere, die in den frühen Tierhandlungen neben Fischen und Co. zum festen Tierbestand gehörten. Die Ratten stammten sehr wahrscheinlich zusammen mit den Goldhamster aus Laboratorien und kamen so dann in den Tierhandel. Möglicherweise ersetzten sie auch einheimische Wildtiere, die mit verschärfenden Gesetze mit der Zeit nicht mehr einfach gefangen werden durften. Dieser Aspekt wäre sicher interessant um ihn etwas genauer zu untersuchen und zu beleuchten.
Ursprünglich ein ganz eigener Bereich war die Aquaristik und im geringeren Umfang die damit verbundene Terraristik. Auch sie dürfte wohl eher in städtischen Gebieten ihre Anhängerschaft gefunden haben.
Und wiederum ein eigenes Feld bildtete die Pelztierzucht, bei der vor allem die Chinchillas nennenswert sind. Diese verknüpfte sich doch mit der Zeit mit der Tierhaltung in städtischen Gebieten. Nachzuchten landeten öfters als Spieltiere im Zoohandel, gerade als die Pelztierzucht langsam ihrem Niedergange zuschritt und sich der Verkauf an Liebhaber als guter, zusätzlicher Vertriebskanal entpuppte.
Fazit: Lebensraum statt Modetrend
Abgesehen vielleicht von der Aquaristik und Terraristik hatten die meisten dieser Haltungen wenig mit dem ursprünglichen Geist zu tun, Tiere zu beobachten und verstehen lernen, in ihrer Natur und Umwelt. Es waren wohl insbesondere Verlage wie der Frankch-Kosmos mit seinem Kosmos-Club und Co. welche den Fokus auf das Beobachten von Wildtieren, Naturbeobachtungen und das Fangen von Wildtieren, um sie genauer zu erforschen, im Sinne hatten und förderten. Heute sind viele Tierhaltungen nach wie vor weit von diesem Geist entfernt, doch gibt es wieder engagierte Halter, die sich genau darauf zurückbesinnen. Dazu gehört nicht nur, dass man Tieren viel Platz bietet die Ernährung umstellt (z.B. Modetrend getreidefrei, frisches "gesundes" Gemüse usw.) sondern, dass man sich auch Gedanken macht, wieso man seine Tiere anders hält. Und für ein Stück Natur im Käfig seiner Tiere, bedarf es dann doch ein bisschen mehr an Wissen über die ursprüngliche Lebensweise der gehaltenen Tiere in der Wildnis. Wer das ausblendet oder zu oberflächlich sich bewusst macht, läuft der Gefahr, dass er irgendwelchen Modetrends hinterherläuft, die keine fundierte Basis haben und genau deshalb in ein paar Jahren wieder ganz anders sein können, denn sie sind beliebig und austauschbar. _________________ Degu-Fütterungstagebuch | Degupedia bei Youtube | Meine Degu-Aussenhaltung (Video)
Es preciso conocer el nombre de las plantas para que podamos salutarlas y ellas nos saluden a nosotros. GOETHE
Manche Menschen sind Steine und manche sind Otter. |
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