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Modifikationen bei Tieren durch Domestizierung

 
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Vanessa87
Ökomöke


Anmeldungsdatum: 12.01.2008
Beiträge: 1474
Wohnort: D - Leverkusen

BeitragVerfasst am: 15.06.2009 20:40    Titel: Modifikationen bei Tieren durch Domestizierung Antworten mit Zitat

Hallo,

fand das recht interessant, hatte das rein zufällig in der Wiki entdeckt und wollte es mit euch teilen! Smile

Zitat:
Modifikationen treten häufig bei domestizierten Tieren auf: Abnahme des Hirngewichts um 20 bis 30 Prozent, Verminderung der Furchung des Großhirns vor allem in den Projektionsfeldern der Sinnesorgane, Veränderung des Hormonstatus und des Verhaltens. Diese Veränderungen sind bereits bei Wildfängen nach einiger Zeit des Aufenthalts in Zoos zu beobachten.


http://de.wikipedia.org/wiki/Modifikation_(Biologie)
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Wieselchen
Freak


Anmeldungsdatum: 24.09.2008
Beiträge: 254

BeitragVerfasst am: 16.06.2009 12:51    Titel: Antworten mit Zitat

Darüber hab ich auch grad erst was gelesen. In einem kritischen Buch über Zootierhaltung, in welchem der Autor Stefan Austermühle darüber schreibt, warum in Zoos werder sinnvoll Artenschutz betrieben werden kann, noch Menschen weitergebildet werden oder gar zum Schützen von bedrohten Tierarten animiert werden. "Und hinter tauschend Stäben keine Welt..." heißt es.

Er sprach von Organveränderungen (aufgrund von geminderten Anforderungen, z.B. Degeneration des Herzmuskels), Funktionsverlust der Sinnesorgane, Funktionseinschränkungen des zentralen Nervensystems, muskulären Veränderungen und veränderten Verdauungsorganen.
Zudem erwähnte er auch Verhaltensänderungen, da bestimmte ortsgebundene Verhaltensweisen (Wanderrouten, Lage von Wasserlöcher und Futterquellen etc.) in Gefangenschaft nicht mehr vorgelebt und so nicht weitergegeben werden können.
Ich weiß allerdings nicht mehr, innerhalb von welchem Zeitraum diese Veränderungen eintraten (also über wie viele Generationen hinweg). Augenrollen

Ich habe mich mit dem Thema Zootiere bisher noch nicht beschäftigt, aber als Laie fand ich das Buch logisch und nachvollziehbar. Wobei der Autor nicht unbedingt von eine neutralen Position aus schreibt sondern sehr gegen Zoos eingenommen ist.
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Murx Pickwick
Quoten-Kobold


Anmeldungsdatum: 23.07.2005
Beiträge: 4622
Wohnort: Runkel

BeitragVerfasst am: 16.06.2009 14:47    Titel: Re: Modifikationen bei Tieren durch Domestizierung Antworten mit Zitat

Man muß bei diesen Modifikationen sehr genau unterscheiden ...

Da gibt es beispielsweise die Veränderung in Masse und Funktion verschiedener Organe, weil sie einfach nicht gebraucht werden: Hirn, Muskeln, Thymusdrüse usw usf ... werden Jungtiere aus Gefangenschaftszuchten oder sogar domestizierte Tiere wildlebenden Tieren untergejubelt und von diesen aufgezogen, werden sich diese Organe wieder in althergebrachter und gewohnter Größe und Funktionsweise ausbilden. Andersherum wird jedes Wildtier, was in Gefangenschaft gerät, eben diese Organe auf das in Gefangenschaft geforderte Maß zurückbilden ... dabei gibt es Organe, wie das Hirn, welches nur dann die volle Masse und Funktion ausbilden kann, wenn ein Tier in freier Wildbahn aufwächst. Muskeln dagegen bilden sich erstens schon nach kurzer Zeit, nämlich innerhalb von Wochen, in Gefangenschaft zurück, brauchen jedoch in freier Wildbahn mind. ein Jahr, bis sie wieder voll ausgebildet sind. Jedoch können sie halt zu jeder Zeit wieder voll regeneriert werden, egal ob vom Haustier oder vom Wildtier.

Dann gibt es erlernte Verhaltensweisen ... Schimpansen und Menschen beispielsweise kennen nicht mal ihr Geschlecht und müssen das erlernen, erst in der Gruppe erlernen sie, wie sie sich ihres Geschlechtes gemäß zu verhalten haben ... man kann das bei Menschen sehr schön beobachten bei denjenigen Menschen, deren Geschlecht nicht klar erkennbar ist - sie werden oftmals unbewußt entgegen ihres tatsächlichen genetischen Geschlechtes ausgebildet und bekommen dann Probleme, wenn sie von der Psychologie in genau das Gegengeschlecht gepreßt werden sollen, weil man dann schließlich bei den vorpubertierenden Kindern, wo ja das Erlernen des eigenen Geschlechtes schon lange gelaufen ist, nun ausgerechnet der Meinung ist, sie sollten das Rollenverhalten des genetischen Geschlechtes erlernen ... ist das Geschlecht deutlich genug ausgebildet, wissen die Kinder von alleine, auf welche Vergleichsmerkmale sie achten müssen, um ihr Geschlecht bei den Erwachsenen wiederzuerkennen und damit das Rollenverhalten anzunehmen. Das geht dann sogar dann noch gut, wenn sie das primäre Geschlechtsorgan nur bei sich selbst zu Gesicht bekommen ... die Vergleichsmerkmale in Brustausbildung, Muskelverteilung und Gesicht reichen hier vollkommen aus.
Was passiert aber nun, wenn so ein Schimpanse im Brutkasten ausgebrütet wird und von Menschen aufgezogen wird? - Sie werden nie in der Lage sein, ihre passende Geschlechterrolle einzunehmen, weil einfach die Vergleichsmerkmale für das Geschlecht beim Menschen nicht mit denen der Schimpansen übereinstimmt ...

Und hier geht es dann weiter mit Brutpflegeverhalten - noch mehr Tiere, die hier durch Gefangenschaft durch das frühe Trennen aus der natürlichen Gruppe extreme Abweichungen zeigen und oftmals gar nicht mehr in der Lage sind, ihre eigenen Kinder aufzuziehen, einfach weil sie es nie in einer natürlichen Gruppenzusammensetzung haben erlernen können. Etwas, was bei vielen sozialen Nagern eine nicht unerhebliche Rolle spielen dürfte, wenn man beobachtet, daß diese Nager immer aggressiver zueinander sind und oftmals selbst die Gruppenordnung im Laufe der Generationen gar nicht mehr aufrechterhalten werden kann ...

Das ist jedoch auch noch nicht alles, auch so Dinge, wie der Gesang werden oft über prägungsähnliche Vorgänge, bei Vögeln sogar über echte Prägung erlernt ... bei Finkenarten hat man es sehr häufig, daß die Männchen den Gesang vom Männchen im eigenen Revier noch im Nest erlernen - ist dieses Männchen nicht mehr da, weil untreu oder aufgefuttert, bleiben noch genügend andere Männchen, die ein solcher Nestling hören kann und von ihm lernen kann. Auch hier sind es wieder bestimmte Grundmerkmale am Gesang, die als Erkennungsmelodien des arteigenen Gesanges angeboren sind und wonach der passende Gesang herausgesucht wird ...
Werden Kanarienvogelhähne von Nachtigallen aufgezogen, singen sie wie Nachtigallen ... werden jedoch deren Kinder wiederum von Kanarienvögeln aufgezogen, wissen diese Jungen anhand des Kanariengesanges, daß der Gesang des eigenen Vaters nicht der arteigene Gesang sein kann und lernen wieder wie Kanarienvögel zu trällern ...
Nur, was passiert nun eigentlich, wenn von einer gerade aussterbenden Finkenart die Jungen genommen werden und von zuverlässigen Mövchen aufgezogen werden und dort ausgewildert werden, wo es diese Finken nicht mehr gibt?
Werden sie jemals erfahren, wie der arteigene Gesang sich angehört hat? - Eher wohl nicht, es fehlt ja das arteigene Beispiel, der Gesang als ein Hauptmerkmal dieser Art ist ausgestorben und nur die genetische Hülle mit Mövchengesang überlebt ... sinnvoll?

Nahrungserwerb - alle Affen haben eine sehr ausgeklügelte Form des Essenserwerbes, welches erlernt werden muß. Ein Schimpanse, der niemals gesehen hat, wie man nach Termiten stochert, weiß zwar angeborenermaßen, daß das Stochern in Gegenständen mit Gegenständen zu Nahrung führt, er weiß jedoch weder, nach welcherart Nahrung er da stochert, noch weiß er, wie der 'Gegenstand zum Stochern beschaffen sein muß noch wie ein Termitenhaufen aussieht ... weil er nun in freier Wildbahn keine Zeit hat für langjährige Experimente mit verschiedenen Gegenständen und Objekten, in denen gestochert werden könnte, wird er also eher verhungern, wie jemals das Termitenstochern zu erlernen! Gleiches gilt auch für das Erkennen und Präparieren von Pflanzen zum Nahrungserwerb, für die Jagd usw usf ... kurzum, ein Schimpanse aus dem Zoo verhungert in der Bananenplantage genauso wie der deutsche Großstadtmensch vor nem Durianbaum ...

Bis hierher reicht eine einzige Generation aus, um eine Art unwiederbringlich in Gefangenschaft zu verändern - oft genug irreversibel und so stark, daß eine Auswilderung nicht mehr in Frage kommt!

Es gibt jedoch auch Veränderungen, die genetischer Herkunft sind, und die brauchen mehrere Generationen ... ein Zebrafink, welcher von Wildzebrafinken abstammt, ist noch ohne Probleme in der Lage, selbst wenn er in Gefangenschaft groß geworden ist, in freier Wildbahn zu überleben, nen Zebrafinkenschwarm zu finden, sich dem anzuschließen, zu poppen und Junge zu produzieren ... nach nur drei Gefangeschaftsgenerationen ist er nicht mehr dazu in der Lage, weil ausgerechnet dazu Eigenschaften vonnöten sind, welche nur von wenigen Genen beeinflußt werden und das Überleben und Vermehrung in Gefangenschaft unmöglich machen ... Scheuheit ist eines dieser Merkmale, ein weiteres die Fähigkeit, einen Zebrafinkenschwarm am Flugverhalten des Schwarmes von anderen Vogelschwärmen zu unterscheiden. In Gefangenschaft ist das typische Flugbild eines Zebrafinkenschwarmes nicht sichtbar - wie denn auch, die Vögelchen haben ja nur bestenfalls ein paar Kubikmeter zum flattern und schlimmstenfalls nicht mal das ...

Es gibt Arten, wo es tatsächlich möglich ist, eine Erhaltungszucht relativ leicht zu bewerkstelligen - einige Thermometerhühner gehören dazu, oder Wanderratten. Diese Tiere wissen einfach alles, was sie zum Leben brauchen, schon von Anfang an und lernen nur noch die notwendigen Spezifikationen, die sie in freier Wildbahn brauchen. Mit ein wenig Training der auszuwildernden Jungtieren ist sogar eine Erhaltungszucht von Orang Utans möglich ... aber schon beim Schimpansen oder bei vielen Finkenarten verändert man einfach das Verhalten derartig krass über die Gefangenschaft, daß da eigentlich vom Verhalten eine ganz neue Art bei rauskommt, die so wirklich gar nix mehr, außer dem Aussehen, mit der Wildform gemein hat! Vielleicht überleben diese Tiere in der Natur, mit der ursprünglichen Wildform haben sie trotzdem nix mehr gemein ...

Tierarten, welche lange Zeit in Gefangenschaft gezüchtet werden, verändern zudem ihr Aussehen stark und passen sich in ihrer Morphologie den Gefangenschaftsgegebenheiten an, die heutigen in Gefangenschaft gehaltenen Zebrafinken sind fast doppelt so groß, wie die Wildform, von Kanarienvögeln gibt es eine Unsumme an Federstrukturen, Körperhaltungen und Färbungen, welche so gar nix mehr mit der Wildform gemein haben und selbst der ohne bewußte Selektion entstandene Hansibubiwellensittich in Wildfarbe ist deutlich größer wie die Wildform, hat deutlich dickere Beine und einen runderen Kopf, oft auch klarere Farbabgrenzungen. Solche Veränderungen geschehen schleichend, selbst wenn versucht wird, den Wildtyp zu erhalten (geschehen beim Reisfinken, wo tatsächlich rechtzeitig die Wildform im Standard festgelegt wurde und daraufhin gezüchtet wurde, den Reisfinken wie in der Natur zu erhalten - ist nicht geglückt, der Käfigreisfink hat einfach ein kräftigeres Knochengestell wie die Wildform, er braucht schließlich nicht so derartig viel durch die Gegend fliegen, als daß die schwereren Knochen da noch ne Rolle spielen würden - in der innerartlichen Auseinandersetzung in so einer Voliere dagegen hat ein stabileres und schwereres Skelett enorme Vorteile beim Nahrungserwerb und dem Kampf um den Nistplatz)
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saloiv
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Anmeldungsdatum: 14.03.2009
Beiträge: 400

BeitragVerfasst am: 16.06.2009 14:56    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Man muß bei diesen Modifikationen sehr genau unterscheiden ...


Hm, eine Modifikation betrifft immer nur das Individuum (den Phänotypen). Diese Unterscheidung, von der du sprichst, wäre dann eher die Unterscheidung zwischen Modifikation (phänotypische Folgen) und Mutation (genotypische Folgen), oder?
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Murx Pickwick
Quoten-Kobold


Anmeldungsdatum: 23.07.2005
Beiträge: 4622
Wohnort: Runkel

BeitragVerfasst am: 16.06.2009 15:01    Titel: Re: Modifikationen bei Tieren durch Domestizierung Antworten mit Zitat

Ja ... wobei bei den phänotypischen Folgen noch eindeutig unterschieden werden muß zwischen Traditionen und Veränderung durch Zuwenigbenutzung, also irreversiblen phänotypischen Merkmalen und reversiblen phänotypischen Merkmalen. Tradierte Verhaltensweisen gehen verloren, wenn sie nicht durch Lernvorgänge weitergegeben werden und verschwinden unwiederbringlich, so ne Modifikatioin von Unterhautfettgewebe und Muskeln ist schnell wieder hergestellt oder kommt, wie die Hirngröße, in der nächsten wildlebenden Generation wieder.
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Wieselchen
Freak


Anmeldungsdatum: 24.09.2008
Beiträge: 254

BeitragVerfasst am: 16.06.2009 15:12    Titel: Antworten mit Zitat

Hm es ging glaub ich auch darum, dass die Tiere, die sich überhaupt in Gefangenschaft befinden und auch noch vermehren, sowieso schon mal nicht deckungsgleich mit den Wildpopulationen sind.
Da meist nur bestimmte Tiere das Einfangen, den Transport und die Eingewöhnung in ein Gehege (im Zoo auch noch mit täglich unzähligen Menschen drumrum, die Unruhe verbreiten) überleben und sich unter diesen Bedingungen auch noch fortpflanzen. Das sind dann besonders streßresistente Tiere, die keine so große Panik in der Nähe von Menschen bekommen, kein so ausgeprägtes und raumgreifendes Fluchtverhalten zeigen usw. Alles wohl meist Eigenschaften, die sich bei einer wieder Auswilderung eher negativ auswirken.
Wenn man diese Populationen, welche auf einer eh schon veränderten Ausgangsbasis basieren, mit Wildpopulationen vergleicht, ist es natürlich auch nicht überraschend, wenn diese sich unterschieden, unabhängig von Mutationen und ähnlichem.
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Tiger
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Anmeldungsdatum: 09.12.2008
Beiträge: 129

BeitragVerfasst am: 21.03.2011 20:20    Titel: Antworten mit Zitat

Ich grabe diesen Thread wieder aus, da das hier ganz gut zu dem Thema passt:

Bei Füchsen wird seit einigen Jahren in Russland die Domestikation untersucht. Selektiert wurden die Tiere dabei bezüglich ihres Verhaltens, mit der Zeit zeigten sich auch einige andere Modifikationen, die sich unter anderem auch bei Haushunden (und anderen Haustieren) finden lassen.

Hier eine deutsche Zusammenfassung:
Die zahmen Füchse von Nowosibirsk

PDF zur Studie (allerdings englisch):
Early Canid Domestication:The Farm-Fox Experiment

Ein kurzer (englischer) Filmausschnitt dazu:
Domestication - it's a matter of time

Die Haltung der Füchse ist (größtenteils) nicht sonderlich erfreulich, dennoch sind die Ergebnisse ganz interessant.
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Gruß
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Luder
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Anmeldungsdatum: 29.06.2009
Beiträge: 365

BeitragVerfasst am: 21.03.2011 20:42    Titel: Re: Modifikationen bei Tieren durch Domestizierung Antworten mit Zitat

Darüber hatte ich mal eine Dokumentation im TV gesehen. Schon interessant wie die Tiere sich veränderten, nicht nur farblich sondern auch vom Wesen.

Die Haltung allerdings fand ich recht traurig
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davX
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Anmeldungsdatum: 08.06.2004
Beiträge: 8494
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BeitragVerfasst am: 25.03.2011 22:26    Titel: Re: Modifikationen bei Tieren durch Domestizierung Antworten mit Zitat

Es gibt zu diesem Thema auch Studien zu Meerschweinchen (Uni Münster, Sachser und Kollegen) und Goldhamster (Gattermann).
Ferner wäre da noch zu nennen Temple Grandin und ihr Buch "Animals in Translation" ("Ich sehe die Welt wie ein frohes Tier"), dort geht sie auf das Thema ein, wie Menschen unbewusst auf die Selektion der gezüchteten Tiere und deren Verhalten eingreifen.
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pantoffeltierchen
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Anmeldungsdatum: 01.10.2010
Beiträge: 128
Wohnort: Konstanz

BeitragVerfasst am: 02.07.2011 21:30    Titel: Re: Modifikationen bei Tieren durch Domestizierung Antworten mit Zitat

*entstaub*

wie sieht es mit den Przewalski-Pferden aus?
ich habe mich dazu jetzt nicht informiert, aber die sind mir beim Lesen des Threads sofort eingefallen.
ich meine mich an folgende Dinge erinnern zu können:
-diese Pferderasse war schon vor dem großen Einfangen für die Zoos beinahe ausgestorben
-zwischenzeitlich war die Rasse in freier Wildbahn tatsächlich ausgestorben
-Austauch der Pferde zwischen den Zoos um die genetische Variabilität zu erhalten (es war ja nur noch ein geringer Genpool vorhanden)
-Seit einiger Zeit (ich glaube 90er) gibt es Auswilderungsprogramme
-Mittlerweile gibt es wieder stabile Populationen in der Mongolei
Korrigiert mich wenn ich irgendwo falsch liegen sollte...

Dadurch dass die Auswilderungen geglückt sind, muss sich bei den Pferden nicht so viel verändert haben, oder?
Interessant wäre auch zu wissen, ob hier das Gehirn geschrumpft ist. Aber überlebensfähig scheinen sie ja noch zu sein.
Allerdings ist an dieser Stelle wohl ein Pferd nicht mit einem Vögelchen zu vergleichen.
Eventuell spielt auch das mit rein (falls das überhaupt richtig gedacht ist): In den Zoos können die Pferde ihre natürlichen Verhaltensweisen besser ausleben als z.B. Elefanten (relativ betrachtet).
Obwohl, haben Elefanten beispielsweise wirklich einen größeren Aktionsradius (ich denk da an die Wanderrouten je nach Trockenzeit, Regenzeit). Die Przewalskis haben das in ihrer Heimat womöglich auch. Hier verlässt mich das Wissen vollends. Weiß jemand mehr darüber?

Das Verhalten in freier Wildbahn muss ja von solchen Tieren erstmal wieder gelernt werden, und wenn dann so grundlegende Dinge wie etwa "um diese Zeit gibts bei A viel zu fressen und bei B wenig" fehlen, wäre das doch der sichere Tod für eine kleine Pferdegruppe.
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Das schönste Erlebnis, das man mit einem Tier haben kann ist sein Vertrauen zu gewinnen. Besonders dann, wenn man lange daran gearbeitet hat.
Das schlimmste ist die Entscheidung über Leben und Tod eines Tieres, welches unheilbar krank ist.
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davX
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Anmeldungsdatum: 08.06.2004
Beiträge: 8494
Wohnort: Schweiz

BeitragVerfasst am: 10.07.2011 17:03    Titel: Re: Modifikationen bei Tieren durch Domestizierung Antworten mit Zitat

Huhu,

ich greife das Thema doch nochmals auf hier.

Zitat:

Das Verhalten in freier Wildbahn muss ja von solchen Tieren erstmal wieder gelernt werden, und wenn dann so grundlegende Dinge wie etwa "um diese Zeit gibts bei A viel zu fressen und bei B wenig" fehlen, wäre das doch der sichere Tod für eine kleine Pferdegruppe.

Naja, Traditionen müssen sich wohl erst wieder entwickeln. Ansonsten viel Verhalten kann ein Pferd vermutlich nicht verlieren, wenn es auch in Gefangenschaft einigermassen artgerecht gehalten wurde. Zumindest stelle ich mir das so vor. Viele Instinkte werden sie sicher auch nicht einfach so verlieren, wie z.B. dass sie vorsichtig werden und vor Feinden fliehen. Natürlich muss sich das Leben in der Natur erst wieder etwas einpendeln, die Einschätzung von Feinden, der Umgang mit den natürlichen Ressourcen und so Dinge wie Wanderrouten zu guten Weideplätze oder Trinkstellen, in diesem Bereich dürfte es sicher auch Traditionen geben, die erst wieder entstehen müssen. Die Tiere sind aber von Natur aus auch neugierig und werden durch Lernen, sich vieles selber wieder erarbeiten.
So konnten ja auch schon ausgesetzte Tierarten wie Wildkaninchen, Ratten etc. sich an wildfremden Orten zurechtfinden, ansiedeln und mit der Zeit neue Gebiete besiedeln, zum Leidwesen der einheimischen Fauna, die oft teilweise oder gänzlich auch durch solche Neubürger verdrängt wird.

Was das Fressen angeht, denke ich kann man das vergleichen mit der Ernährung unserer Tiere. An das breite Angebot, das wir bieten, müssen sich die Tiere erst gewöhnen und von dem ist der Schritt zur Natur sicher kleiner... sprich so eine Auswilderung muss natürlich auch begleitet werden. Gerade heutzutage geht sowas nicht ohne sorgfältige Vorbereitung und einer laufenden Begleitung in den ersten Jahren, bei der die Tiere kontrolliert und der Erfolg überprüft wird. Falls nötig lässt sich eingreifen, um gröbere Verluste zu vermeiden.
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Murx Pickwick
Quoten-Kobold


Anmeldungsdatum: 23.07.2005
Beiträge: 4622
Wohnort: Runkel

BeitragVerfasst am: 11.07.2011 17:16    Titel: Re: Modifikationen bei Tieren durch Domestizierung Antworten mit Zitat

Die ausgewilderten Przewalskipferde haben vom Verhalten her nix mehr mit dem zu tun, was sie mal ursprünglich waren - der Hintergrund waren die Zuchtschwierigkeiten dieser Wildpferdeart, denn die Przewalskipferde waren die mit Abstand scheuesten und aggressivsten Vertreter ihrer Gattung. Sowas kann man nicht mal in besonders großen Gehegen züchten ...

Dennoch gelang die Zucht mit dem ein oder anderen Gaul, meist erst nach Einkreuzung von Haflinger und Norwegerpferd (die Linie aus dem Tierpark Hellabrunn). Es wurden also Artbastarde erzeugt und diese wiederum mit viel Schweiß und Mühe weitergezüchtet, bis sich eine stabile und fruchtbare Linie mit Stehmähne ergab, denn die ersten Bastarde hatten teils Hängemähnen wie die Hauspferde.
Es gab parallel dazu die Versuche, das Przewalskipferd rein zu erhalten ... ist sogar in Prag geglückt, aber diese Linie geht nur auf eine Handvoll der zahmsten auftreibbaren Przewalskipferde zurück.

Liest man sich die alten Berichte der ersten Przewalskipferde in Gefangenschaft durch, liest sich das wie Horrorkabinett - die Pferde erschreckten sehr leicht, liefen sinnlos gegen Zäune und brachen sich da das Genick, sie bissen und schlugen ihre Pfleger krankenhausreif, sie sprangen über alles drüber, was nur irgendwie überspringbar für sie aussah - und rissen dabei selbst starke Holzzäune, wie sie für Rinder benutzt wurden, teilweise um. Die Folge waren auf Seiten der Pferde schwere Knochenbrüche, oft genug mußten wertvolle Zuchttiere aufgrund der horrenden Verletzungen erschossen werden.
Nur wenige Pferde von denen, die in der Mongolei eingefangen wurden, überlebten überhaupt nur die ersten Jahre - und sie machten keinerlei Anstalten, über die Jahre zahmer zu werden. Fohlen waren die Ausnahme, kränkelten oft, weil sie nicht genügend Milch bekamen, weil die Stuten vor lauter Streß sie nicht lange genug an die Milchbar ließen, man löste das Problem, indem man die Fohlen einfach von Hauspferden aufziehen ließ. Aber auch das löste das Problem nicht, denn die Fohlen gebärdeten sich wie ihre genetischen Eltern.
Man mußte, um die Przewalskis überhaupt nur in Gefangenschaft erhalten zu können, auf Zahmheit selektieren, anders ging es einfach nicht.

Dazu kam dann der zweite Weltkrieg, ein weiterer extremer Rückschlag der Przewalskizucht ... ich habs nicht mehr recht in Erinnerung, aber ich glaub, es überlebten nur die Hellabrunner Linie, die Prager Linie und noch ein paar Pferde ... die Nachfahren dieser Überlebenden waren allerdings schon kein Vergleich mehr mit denen der ersten Stunde, heutzutage ist das Przewalskipferd vom Verhalten her kaum von Hauspferden zu unterscheiden. Sie sind genauso zahm, genauso führig, man kann sie ohne Probleme reiten, wenn man sie entsprechend ausbildet. Das wäre noch um 1920 herum, mit den ersten Przewalskis in Gefangenschaft, nicht möglich gewesen. Einzig die Hengste sind immer noch im Schnitt aggressiver wie Hauspferdhengste.

Przewalskipferde kann man prima in aller Welt unter verschiedensten Bedingungen auswildern, unter denen man Hauspferde auswildern kann, nur in der Mongolei, wo man es auch versuchte, gab es enorme Probleme - aufgrund der weggezüchteten Scheuheit und Aggression. Die domestizierten Przewalskis brauchen einfach bessere Weiden, wie die ersten Wildfänge dieser Art.

Ach ja ...
Das Przewalskipferd ist übrigens ein Politikum, es gilt immer noch als einer der Vorfahren des Hauspferdes - trotzdem es eine Stehmähne hat und keine hängende Mähne, trotzdem es eine andere Chromosomenzahl besitzt, es 19 statt wie Hauspferde 18 Brustwirbel besitzt usw usf. Weiterhin wird schlichtweg ignoriert, daß die ersten Kreuzungsversuche zwischen Przewalski und Hauspferd alles andere wie leicht zu bewerkstelligen waren und nur wenige der Fohlen tatsächlich fruchtbar waren. Man ignoriert komplett, daß das jetzige Hauspferdeverhalten nur ein Domestikationsmerkmal ist und keinesfalls das ursprüngliche Wesen des Przewalskis ausmachte - nur, weil geschichtlich belegt ist, daß extrem gute Reiter es schafften, das Przewalski mehr oder weniger gut eine Weile lang zu reiten, heißt es noch lange nicht, daß sie schon immer so zahm waren wie heute!
Man kann schließlich auch alle drei Zebra-Arten und alle Esel und Halbesel reiten - und die gelten deswegen noch lange nicht als Vorfahren des Hauspferdes!

Da das Przewalski der Vorfahr unserer Hauspferde sein muß, weil man das halt so will, ist es auch nur eine Unterart von Equus ferus ...
Nun, Wintergoldhähnchen und Sommergoldhähnchen ähneln sich deutlich mehr untereinander wie Przewalski und Hauspferd und werden dennoch als zwei Arten und nicht etwa als zwei Unterarten geführt. Wapiti und europäischer Rothirsch unterscheiden sich sogar einzig durch die Größe und ihres Vorkommensgebietes und werden als zwei Arten geführt ...

Das krasse an der Sache ist, daß es die Wildform unseres Hauspferdes bis vor kurzer Zeit noch undomestiziert gab: das Sorraia ... nur wird nun auch dieses echte Wildpferd mit Macht domestiziert. Es verliert zunehmend sein wildes Verhalten, über bleibt ein gutes, geduldiges Kinderpony ...
Übrigens ist weder Konik noch Sorraia je als Überbleibsel des Tarpan anerkannt worden - warum?
Weil es nicht sein kann, was nicht sein darf - der Vorfahr unseres Hauspferdes hat schließlich ein stehmähniges Wildpferd aus der Mongolei mit einer anderen Chromosomenanzahl und einem Brustwirbel mehr wie unsere Hauspferde zu sein. Das fehlen des Brustwirbels und die Hängemähne sind daher per definitionem eindeutig Domestikationsmerkmale ... so funktioniert nunmal korrektes wissenschaftliches Arbeiten!
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