davX Team
Anmeldungsdatum: 08.06.2004 Beiträge: 8494 Wohnort: Schweiz
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Verfasst am: 18.02.2007 22:11 Titel: Vom Halbwissen zum Fachwissen |
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Hallo zusammen,
mit diesem Artikel versuche ich darauf einzugehen, wie man sich Fachwissen aneignen kann und was damit verbunden ist. Natürlich kann ich nur einige Aspekte herausgreifen, da das Thema komplex ist.
Beispiel 1
Nehmen wir an, wir befinden uns in einer Diskussion über Degus. Ein Neuling will seine Degus draussen halten und macht sich Gedanken zu der Lebensweise in Chile. Es wird zwar schnell klar, dass die Draussenhaltung von Degus nicht einfach ist und für Anfänger abzuraten, doch eine theoretische Diskussion ob Degus bei uns draussen gehalten werden könnten wird fortgesetzt:
- "Degus leben in Wüsten in Chile, dort ist es heiss, ein ganz anderes Klima als bei uns. Die würden sich nur erkälten."
- "Stimmt nicht, die Degus leben nicht in der Wüste, sondern in den Bergen. Dort ist es oft sehr kalt, so wie bei uns..."
- "Ich habe mich im Internet informiert. In Santiago, dort leben doch die Degus wird es nie kälter als 0 Grad. Ansonsten ist es aber ähnlich wie bei uns mit dem Wetter. Die vertragen bestimmt keine Minustemeraturen!"
- "Das stimmt nicht, in Chile gibt es im Sommer Hitzeperioden, da trocknet alles aus und in der Nacht wird es sehr kalt. Das Wetter ist ganz anders als bei uns."
u.s.w.
Nun, wie wir aus dem Gespräch feststellen können, es wird rege diskutiert, viel interessantes, teils widersprüchliches wird eingebracht, doch das meiste ist irgendwie nicht ganz wahr und vor allem auch ungenau.
Um die verbleibenden Unklarheiten auszuräumen ist Wissen aus Fachliteratur nötig. Dabei gibt es mehrere Hürden zu meistern:
1.) Welche Literatur ist geeignet und beantwortet die offenen Fragen zufriedenstellend?
Das Problem ist, aus der Unmenge an erhältlicher Fachliteratur die passende Literatur zu finden. Oftmals sind mehrere Quellen nötig.
2.) Wie bekomme ich die nötige Literatur?
Alte Literatur ist oft schwer erhältlich, aktuelle Literatur kann unter Umständen teuer sein, gerade wenn mehrere dicke Fachbücher nötig sind um eine einfachere Frage zu beantworten. Hier kann sich als Alternative anbieten in Bibliotheken die entsprechende Literatur auszuleihen.
Letztlich aber sind zur Sichtung der Literatur und um sich einen Überblick zu verschaffen und verschiedene Literatur in Zusammenhang zu bringen und gute Literatur aus der grossen Menge zu finden ein zeitintensiver Prozess. Bei der Einarbeitung in ein Themengebiet sind oftmals mehrere Monate oder gar Jahre nötig.
Beispiel 2
Szenenwechsel. Wir befinden uns in einer Diskussion über Verhaltensstörungen:
- "Gitternagen ist eine Verhaltensstörung, das ist nicht normal"
- "Unsinn, Gitternagen tun alle Tiere, das ist normal, aber wenn sie übermässig Radlaufen, das ist eine Verhaltensstörung"
- "Nein, das ist doch eine Stereotypie. Eine Verhaltensstörung ist doch, wenn sie z.B. ihre Jungen töten, irgendwie ein nicht normales, eben gestörtes Verhalten."
- "Ja, aber wenn sie viel Radlaufen, dann ist das auch nicht normal, oder?"
- "Was ist denn bitteschön zuviel? Die einen laufen eben mehr als die anderen. Ich sehe da nichts gestörtes daran."
u.s.w.
Auch hier haben wieder unscharfe Aussagen und Widersprüche. Die Definition der Verhaltensstörung selber ist Teil der Diskussion und wenn der Begriff selber schon nicht klar ist, wie soll dann darüber vernünftig diskutiert werden, wenn jeder etwas anderes darunter versteht. Daher sind Definitionen von Begriffen in der Fachliteratur aber auch bei sachlichen Diskussionen nötig, sofern man sie nicht als eindeutig bekannt voraussetzen kann.
Für die Definitionen von Fachbegriffen gibt es entsprechende Nachschlagewerke, welche gute Erklärungsversuche sammeln. Das können gute Lexika sein (bei relativ alltäglichen Begriffen), Biologie-Nachschlagewerke oder spezielle Nachschlagewerke, z.B. ein Wörterbuch der Verhaltensbiologie, was in unserem Fall wohl die beste Quelle wäre.
Literaturbeschaffung
Unsere beiden Beispiele haben gezeigt, was die Motivation sein kann, um sich mit Fachliteratur anzufreunden. Wichtig dabei ist, dass die Beschäftigung mit Literatur sehr zeitaufwändig aber auch spannend sein kann und man sicher langfristig denken sollte und nicht gleich enttäuscht sein sollte, wenn sich nicht gleich erste Erfolge einstellen sondern man sollte die Geduld nicht verlieren und am besten immer wieder mal ein bisschen sich mit Fachliteratur beschäftigen und am Ball bleiben.
Um das Potential wirklich auszunutzen, welches Fachliteratur bieten kann, so empfiehlt es sich, wenn man Zugang zu einer guten Fachbibliothek hat (z.B. eine umfangreiche Stadtbibliothek). Dann kann die Literaturrecherche beginnen. Gute Quellen zu finden ist nicht einfach, aber es gibt Hilfsmittel, sehr praktische Dienste liefert Google Scholar. Grössere Fachbibliotheken bieten ausserdem eine eigene Büchersuchdatenbank, welche nach Stichworten, Büchertiteln, Autoren und Verlage durchsucht werden können. Bei der Ausleihe von Büchern sollte man mutig sein und auch mal was ausleihen, was vielleicht auf den ersten Blick nicht ganz geeignet erscheint.
Bei der Beurteilung von Fachliteratur zählt der erste Eindruck. Diesen kann man sich verschaffen indem man Inahltsangabe liest, das Inhaltsverzeichnis studiert, das Vorwort (an)liest und in das Buch reinliest und es durchblättert.
Auch das Literaturverzeichnis kann aufschlussreich sein, oder wenn man Bücher über Referenzen aus anderer Literatur beschafft findet man meist in dem zitierten Zusammenhang eine grobe Angabe, was man in der zu beschafenden Literatur finden kann.
Wichtig zum Auffinden von neuer interessanter Literatur ist das Literaturverzeichnis. Auch wenn das dem Anfänger als eine Menge unnütze Informationen erscheint, und er geneigt ist, diese daher wegzulassen, so sind sie für erfahrene Leute ein wichtiger Bestandteil in ihrer Recherche, da gute Fachliteratur meist auch wieder gute Fachliteratur zitiert, welche sich wiederum auf gute Fachliteratur stützt und man so über das Literaturverzeichnis weitere interessante, verwandte Literatur finden kann. Sie sind daher wichtig und sie können auch etwas über die Qualität einer Quelle aussagen.
Neben der Beschaffung von Literatur durch Bibliotheken sollte man sich seine eigene kleine Bibliothek aufbauen mit den wichtigsten Büchern, die man denkt, dass man die besonders viel gebrauchen kann oder aber auch Literatur, die man sonst nicht bekommt. Gute Kandidaten für die eigene Bibliotheken sind Nachschlagewerke (z.B. Grzimeks Tierleben oder Urania Tier- und Pflanzenreich, Nowaks Mammals of the World, etc.), aber auch Bücher die man häufig braucht, z.B. Gift- oder Gartenpflanzenbücher, tierärztliche Fachliteratur (z.B. "Krankheiten der Heimtiere") und sollte je nach Interessengebiet angepasst werden.
Eine weitere Möglichkeit der Literaturbeschaffung ist die Internetrecherche. Viele Fachpublikationen sind nämlich als PDF frei erhältlich (doch immer noch ein viel grösserer Teil ist kostenpflichtig oder im Internet nicht erhältlich!). Daher lohnt sich oft auch eine Internetrecherche. Bei Google-Scholar sind einige Quellen beispielsweise frei zugängliche PDFs, danach zu suchen lohnt sich. Leider sind aber oftmals diese Quellen nicht frei zugänglich, so dass einem der Gang zur Bibliothek nicht erspart bleibt, sofern diese die gewünschte Fachzeitschrift überhaupt verfügbar hat. Als kostenpflichtige Alternative für ganz wichtige Artikel bleiben letztlich Dokumentlieferdienste wie Subito, welche gegen geringes Entgeld (naja, bei vielen Artikeln summert sich das zwar auch schnell wieder zu einer hübschen Summe auf) den gewünschten Artikel liefern. |
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