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davX Team
Anmeldungsdatum: 08.06.2004 Beiträge: 8494 Wohnort: Schweiz
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Verfasst am: 15.03.2015 21:59 Titel: Epheu (Efeu, Hedera helix) eine vergessene Futterpflanze |
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Huhu,
ich habe etwas alte Literatur gewälzt: es lohnt sich. Dank Google Books kommt man an alte Bücher ran... man muss allerdings die alte Frakturschrift lesen können.
Hier ist ein Fund, der ettliches zum Thema Efeu als Futterpflanze bietet. Die meisten Bücher verlieren kaum ein Wort über die Futternutzung... man muss also schon etwas danach suchen:
Zitat: | Der Epheu (Hedera Helix).
Der Epheu, sagt Kasthofer, wird gewöhnlich wenig geachtet und gleichsam nur für die Schmarotzerpflanze angesehen, die auf Kosten der Bäume wachse, an denen sie aufrankt und in deren Rinde sie ihre Wurzeln treibt, ohne selbst etwas zu nützen.
In der französischen Bretagne lassen indeß die Bauern fast an allen Eichstämmen Epheu in die Höhe ranken und sammeln dann die Blätter, die mit Begierde sowohl von kleinem Vieh als von Kühen gefressen werden und sich sehr milchbefördernd erzeigen. Aber in vielen Alpenthälern kennen die Landleute diesen bedeutenden Nutzen des Epheu's nicht, und ich habe nie gehört, daß, wo sie ihn kennen, Jemand denselben da angepflanzt hätte, wo er sich noch nicht findet. Daher will ich beschreiben, wie diese Pflanzung am leichtesten geschieht.
Man gräbt ein oder ettliche Gartenbeete, die ohnehin eine schattige Lage haben und deswegen weniger eintragen, wohl um, reinigt sie von Steinen und Unkraut, wirft darin kleine Gräben auf von einem Fuß Tiefe, andershalb Fuß von einander entfernt, und legt im Frühjahr drei Fuß lange Epheuzweige, die an Felsen oder Baumstämmen Wurzeln getrieben haben, neben einander, in die Gräben, und füllt diese mit lockerer Erde also zu, daß je zwei Fuß Länge des Epheusetzlings unter die Erde zu liegen kommen, ein Fuß hingegen daraus hervorragt; dann bindet man diese Setzlinge an dünne Stöcke und behält sie so zwei Jahre im Gartenbeete, das sorgfältig vom Unkraut rein gehalten wird. Will man sie nach Verfluß dieser Zeit verpflanzen, so wählt man eine Felswand oder ein altes Gemäuer, und gräbt an dem Fuß desselben eine Grube, in die der Epheusetzling gebracht und welche alsdann mit lockerer guter Walderde gefüllt wird. Auch an den Fuß von Waldbäumen könnte auf diese Weise die Dorfjugend ihn verpflanzen, und es würden Tannen-, Fichten-, Lärchen- oder Eichenwälder, wo an jedem Baumstamme eine Epheupflanze hinaufrankte, zu recht schönen Baumgärten werden, aus denen ganze Schaaf- oder Geißheerden im Winter gesunde und frische Nahrung erhalten können. Freilich bringt ein solcher Epheustamm dem Waldbaume mehr oder weniger Schaden, in dessen Rinde er mit seinen Wurzeln hängt. Aber es würde sich dabei doch immer noch fragen, ob das Holz, das um des Epheu's willen jährlich weniger wüchse, für den Landmann größern oder mindern Werth hätte, als das durch den Epheu gelieferte Viehfutter. Gesetzt z. B., zwei funfzigjährige Lärchtannen, beide ungefähr von gleicher Größe und auf gleichem Boden, stünden neben einander, und an dem Fuß der einen würde Epheu gepflanzt, an dem andern aber nicht, und beide Bäume würden neben einander noch 50 Jahre fortwachsen; gesetzt ferner, der Werth des Baumes, an dem der Epheu gepflanzt war, sey dadurch dem andern Baum gegenüber um 20 Batzen gemindert worden, der Epheu habe aber in dieser Zeit für 30 Batzen Futter getragen, so ist die Berechnung bald gemacht, ob dieses Futter zu Gunsten des geringern Holzgewinns, oder der kleinere Holzgewinn zu Gunsten des guten Futters aufgegeben werden solle. Holz müssen wir haben, und also auch Wälder; aber wenn wir Holz und Wälder und Futter für unser Vieh zugleich haben können, ohne deßwegen die Wälder zu zerstören, so wären wir ja Thoren, wenn wir den gedoppelten Vortheil, den die Wälder uns darbieten, nicht benutzen wollten.
Die Blätter des Epheu reinigen alte Wunden und leisten noch verschiedena anderweitige Dienste im Arzneivorrath.
Das Holz vom Epheu ist etwas schwammig, dient aber deßwegen zum Durchseiben und Klären von trübem Wein und andern unreinen Flüssigkeiten. Die Blüthen des Epheu's erscheinen erst im Herbstmonat, und die Beeren zeitigen dann erst im Mai des folgenden Jahres. Seine Fortpflanzung durch den Saamen geschieht langsam, da dieser ein bis zwei Jahre, bevor er keimt, im Boden liegen bleibt.
Quelle: Weißenborn 1929, S. 45-46
| (Hervorhebungen von mir)
Quelle:
W. Weißenborn (1829): Neues und nutzbares aus dem Gebiete der Haus- und Landwirthschaft und der dieselben fördernden Natur- und Gewerbskunde. 5. Band. Weimar, im Verlage des Großherzogl. Sächs. priv. Landes-Industrie-Comptoirs.
Zitat: | Vom Laub der Hedera als Viehfutter spricht CATO ausdrücklich, und was er sagt, wird durch neuzeitliche Nachrichten bestätigt. Karl KARSTOFER berichtet von einer Alpenreise um 1825: "Im Berner Oberland werden oft von Kindern ganze Ladungen von Epheublättern zur Fütterung der Schafe und Ziegen während des Winters gesammelt." Und BROCKMANN verweist 1936 neben der Verwendung der Mistel auf den selben Zusammenhang: "Auch der Efeu ist ein beliebter, aber eben nicht in Mengen vorkommender Notbehelf."
Quelle: Nahrhafte Landschaft: Ampfer, Kümmel, Wildspargel, Rapunzelgemüse ... Von Michael Machatschek
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Siehe: http://www.degupedia.de/forum/viewtopic.php?p=14522&highlight=ebheu#14522
Michael Machatschek (1999):
Nahrhafte Landschaft: Ampfer, Kümmel, Wildspargel, Rapunzelgemüse, Speiselaub und andere wiederentdeckte Nutz- und Heilpflanzen. Böhlau Verlag. 284 S. _________________ Degu-Fütterungstagebuch | Degupedia bei Youtube | Meine Degu-Aussenhaltung (Video)
Es preciso conocer el nombre de las plantas para que podamos salutarlas y ellas nos saluden a nosotros. GOETHE
Manche Menschen sind Steine und manche sind Otter. |
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Murx Pickwick Quoten-Kobold
Anmeldungsdatum: 23.07.2005 Beiträge: 4622 Wohnort: Runkel
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Verfasst am: 16.03.2015 09:46 Titel: Re: Epheu (Efeu, Hedera helix) eine vergessene Futterpflanze |
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Wow!
Welch ein Fund!
Das ist bislang der erste Nachweis, den ich kenne, daß Efeu als Viehfutter sogar angepflanzt wurde.
Was allerdings beim Bericht von Weißendorn nicht so gut rauskommt, ist die Sache mit den Kühen - für Kühe ist roher Efeu eher ungenießbar, in größeren Mengen macht der Durchfall. Er wurde daher für Kühe gebrüht. War das Futter im Winter knapp, wurde er auch für Ziege und Schaf abgebrüht, damit sie mehr von fressen (zumindest in nordischen Ländern).
Daß Efeu den Milchertrag bei Kühen fördern würde, glaub ich weniger ... dafür enthält er weder genügend Zucker, noch genügend Eiweiß und die Saponine behindern beim Rind sogar die Verdauung, so daß weniger Nährstoffe insgesamt zur Verfügung stehen, wenn Kühe Efeu bekommen - ergo sollte aller Logik zufolge Efeu eher den Milchertrag senken!
Was aber sein kann, ist die Sache, daß Milchkühe im 17. - 19. Jhr in Mitteleuropa größtteils am Haus im Stall gehalten wurden, auch in der Bretagne, und über den Winter gehungert wurden - im wahrsten Sinne des Wortes!
Man hatte also zuwenig Futter fürs Vieh ... wenn man nun zusätzlich überbrühten Efeu nutzen konnte und damit das Futter gerade so eben ausreichte, könnte es tatsächlich sein, daß die Rinder mehr Milch gaben - klar, sie wären dann aufgrund der besseren winterlichen Ernährungslage besser über den Winter gekommen! _________________ Marx ist die Theorie
Murx ist die Praxis!
Ich habe es endlich amtlich (Mitgliedsausweis der Piratenpartei):
"Der Besitzer dieses Dokumentes ist berechtigt, sich seines Verstandes zu bedienen, Informationen zu produzieren, replizieren und konsumieren, sich frei und ohne Kontrolle zu entfalten in Privatsphäre und Öffentlichkeit.
Behinderung dieser Rechte wird geahndet durch die Piratenpartei Deutschland" |
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davX Team
Anmeldungsdatum: 08.06.2004 Beiträge: 8494 Wohnort: Schweiz
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Verfasst am: 17.03.2015 03:07 Titel: Re: Epheu (Efeu, Hedera helix) eine vergessene Futterpflanze |
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Ich war ja selbst überrascht wie ausführlich der war. Was auffält, dass offenbar schon in den 1830er Jahre die Umwälzung in der Landwirtschaft in Mitteleuropa recht um sich gegriffen hatte und viele Bauern den Nutzen von Efeu nicht mehr wirklich kannten, während in grösseren Randregionen, die mehr noch auf die Ressourcen der Natur angewiesen waren, wie eben die Bretagne das Efeu sehr wohl genutzt wurde.
Zitat: |
Was allerdings beim Bericht von Weißendorn nicht so gut rauskommt, ist die Sache mit den Kühen - für Kühe ist roher Efeu eher ungenießbar, in größeren Mengen macht der Durchfall. Er wurde daher für Kühe gebrüht. War das Futter im Winter knapp, wurde er auch für Ziege und Schaf abgebrüht, damit sie mehr von fressen (zumindest in nordischen Ländern).
Daß Efeu den Milchertrag bei Kühen fördern würde, glaub ich weniger ... dafür enthält er weder genügend Zucker, noch genügend Eiweiß und die Saponine behindern beim Rind sogar die Verdauung, so daß weniger Nährstoffe insgesamt zur Verfügung stehen, wenn Kühe Efeu bekommen - ergo sollte aller Logik zufolge Efeu eher den Milchertrag senken!
Was aber sein kann, ist die Sache, daß Milchkühe im 17. - 19. Jhr in Mitteleuropa größtteils am Haus im Stall gehalten wurden, auch in der Bretagne, und über den Winter gehungert wurden - im wahrsten Sinne des Wortes!
Man hatte also zuwenig Futter fürs Vieh ... wenn man nun zusätzlich überbrühten Efeu nutzen konnte und damit das Futter gerade so eben ausreichte, könnte es tatsächlich sein, daß die Rinder mehr Milch gaben - klar, sie wären dann aufgrund der besseren winterlichen Ernährungslage besser über den Winter gekommen!
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Wahrscheinlich müsste man da Machatschek lesen. Der hat sich offensichtlich deutlich gründlicher mit dem Thema befasst und den Bergbauern auch genauer auf die Finger geschaut. Er beschreibt übrigens genau solche Bearbeitungen von Laub. Auch wurde teils das Laub vergärt um unbekömmliche Zellulosen und Lignine besser aufzuschliessen etc.
Die Ausführungen von Weißenborn scheinen mir auch eher theoretischer Natur. Ähnlich wie wir es häufig hier im Forum tun, scheint er zu philosophieren, wie die Welt besser sein könnte, wenn die Leute (in seinem Beispiel die Dorfjugend) Efeu gezielt an den Bäumen pflanzen würden und man einen Doppelnutzen aus den Wäldern holen könnte.
Die später rasch voranschreitende strukturelle Umwälzung in der Landwirtschaft machte seine Überlegungen zumindest teilweise überflüssig... immer ausgefeiltere Futterkonserven (Futterbrote,.. bis hin zum industriellen Viehfutter) und der einsetzende Wohlstand reduzierten deutlich den Druck die Vielfalt der Möglichkeiten, welche die Natur bietet, möglichst gut ausschöpfen zu müssen. Dazu kommt noch eine soziale Komponente. Die Bauern stiegen im Ansehen der Gesellschaft auf, von den armen Schluckern zur Mittelschicht. Entsprechend galt es bald mal als verpönt und ärmlich, wer seine Tiere mit Efeu und dergleichen füttern muss, wer den Wald als Nahrungsquelle fürs Vieh braucht etc. Die Nutzung von den industriellen Futtermittel war wohl nicht nur eine Frage der Bequemlichkeit, ich könnte mir auch denken, dass es in gewissem Sinne ein Statussymbol war. wer Geld/Vermögen hatte, der konnte sich das leisten.
Unter anderem machte auch Machatscheck in seinen Laubgeschichten Andeutungen in diese Richtung, allerdings war es auch eher beim Thema Futterlaubnutzung und die vielfältigen Nutzungen des Laubs, das ja durch den industriellen Fortschritt nach und nach in Vergessenheit geriet, wohl auch aus sozialer Ächtung, da es als minderwertig und etwas für die Armen empfunden wurde. _________________ Degu-Fütterungstagebuch | Degupedia bei Youtube | Meine Degu-Aussenhaltung (Video)
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Murx Pickwick Quoten-Kobold
Anmeldungsdatum: 23.07.2005 Beiträge: 4622 Wohnort: Runkel
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Verfasst am: 17.03.2015 10:20 Titel: Re: Epheu (Efeu, Hedera helix) eine vergessene Futterpflanze |
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Es war nicht soziale Ächtung, die kam erst mit der Schulpflicht auch für Kinder der Landwirte im 21.Jhr mit hinzu - sondern es waren knallharte Verbote, den Wald weiterhin für die Landwirtschaft zu nutzen.
Landwirtschaft und Forst wurden systematisch voneinander getrennt ... der Stangenwald wurde staatlich gefördert, man brauchte Holz für die Industrie. Und es ist klar, wenn man Monokulturen hochzieht, daß es definitiv nicht erwünscht ist, wenn da irgendwelche Leute ihren Efeu unter die Bäume pflanzen oder auf die Idee kommen, ihr Vieh mit den Blättern zu füttern!
Auch, daß die Kräuterläden in den Städten zwischen dem 19.Jhr und 20.Jhr verschwanden, ist auf solche Verbote zurückzuführen ... Heilmittel sollten in den Apotheken gekauft werden, wo entsprechende Mittelchen der Industrie bereitstanden, Kräuterläden, die vom Heilkraut über Teekräuter bis Wildgemüse alles vertickerten, waren nicht mehr erwünscht.
Mit dem Verbot der Kräuterläden übrigens starben auch erst die alten Gemüsesorten endgültig aus ... und gerieten in Vergessenheit!
Eine weitere treibende Kraft war das Verbot, Gemüse, welches nicht vom Sortenamt anerkannt war, als Nahrungsmittel zu verkaufen. Nach diesem Verbot starben über 3/4 der Kartoffelsorten in Deutschland aus! _________________ Marx ist die Theorie
Murx ist die Praxis!
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davX Team
Anmeldungsdatum: 08.06.2004 Beiträge: 8494 Wohnort: Schweiz
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Verfasst am: 11.02.2016 00:18 Titel: Re: Epheu (Efeu, Hedera helix) eine vergessene Futterpflanze |
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Da ich zur Zeit das Werk von Cato ausgeliehen habe, wollte ich nun doch wissen, ob ich die Stelle mit dem Efeu finde. Hier ist sie:
"Si faenum non erit, frondem iligneam et hederaciam dato." Hooper & Ash 1934
Bzw. in englischer und deutscher Übersetzung mit Kontext:
Zitat: |
LIV. Feed for cattle should be prepared and fed as follows: (...) During the day let them forage, and at night feed 25 pounds of hay a head; if you have no hay, feed ilex and ivy leaves.
| (Quelle: Hooper, W.D. Ash, H.B. 1934: Marcus Porcius Cato on agriculture, Marcus Terentius Varro on agriculture. The Loeb Classical Library: 283. William Heinemann, London)
Zitat: |
LXIII. Futter für die Rinder
Den Rindern hat man auf folgende Weise Futter zu beschaffen und zu geben: (...) 2 Wenn Heu nicht zur Verfügung steht, verfüttere Steineichen- und Efeulaub.
| (Quelle: Flach, D. 2005: Marcus Porcius Cato. Über den Ackerbau. Franz Steiner Verlag, Stuttgart)
Für die umfangreicheren Zitate, siehe Die römische Landwirtschaft _________________ Degu-Fütterungstagebuch | Degupedia bei Youtube | Meine Degu-Aussenhaltung (Video)
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