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Basisemotion Neugier/Interesse/Vorfreude
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Autor:  davX [ 18.10.2007, 22:36 ]
Betreff des Beitrags:  Basisemotion Neugier/Interesse/Vorfreude

Hinweis: Dieser Artikel stammt von dem Degupedia-Forum: Basisemotion Neugier/Interesse/Vorfreude

Basisemotionen von Tieren - Darum gehts:
Dieser Artikel entstand durch Inspiration von Temple Grandins Buch "Ich sehe die Welt wie ein frohes Tier", in dem sie über Tiere, ihre Fähigkeiten und wie sie die Welt wahrnehmen schreibt.

Grandin schreibt dort drin unter anderem von 4 Basisemotionen, die Mensch und Tier besitzen, welche im Gehirn als eigenständige Schaltkreise ausgeprägt sind und einzeln aktiviert werden können. Dabei handelt es sich um Wut, Jagdtrieb, Angst und der vierte ist eben
Neugier/Interesse/Vorfreude oder auch Seeking genannt.

Sie schreibt dazu folgendes:

Zitat:
Alle Säugetiere und Vögel sind neugierig auf ihre Umgebung und zeigen reges Interesse daran. Sie kennen auch so etwas wie Vorfreude. Das kann man immer wieder sehen, wenn Fressen für den Hund vorbereitet wird: Sobald man etwas Trockenfutter in die Schüssel schüttet, beginnt das Tier regelrecht zu grinsen und wedelt wie verrückt mit dem Schwanz. Sich aufs Fressen zu freuen zählt zu den glücklichsten Momenten in einem Hundeleben.

Grandin, Temple. 2006. Ich sehe die Welt wie ein fröhliches Tier. Eine Autistin entdeckt die Sprache der Tiere. Ullstein Verlag, Berlin.
(Hervorhebung von mir)

Diese Basisemotion, welche da ausgelöst wird nennt Grandin Seeking (zu Deutsch "Suchen") und umschreibt sie mit den Worten von Dr. Panksepp als engagierte Neugier, starkes Interesse und grosse Vorfreude. Bei der Stimulierung von dem Gehirnteil, der für diese Basisemotion zuständig ist empfanden die jeweiligen Personen, dass es sich um etwas hochinteressantes, äusserst aufregendes handle. Bei Tieren wurde aufgeregts, unruhiges hin- und herlaufen und starkes Schnüffeln beobachtet.

Diese Basisemotion, so Grandin ist für Tier und Mensch überlebenswichtig:

Zitat:
Diesen mächtigen Erkundungsdrang haben Mensch und Tier gemeinsam, weil er ihnen zu dem verhilft, was sie im Leben brauchen. Diese Emotion sichert unser Überleben. Die Neugier und ein aktives Interesse an unserer Umwelt sind die Voraussetzungen dafür, dass wir Angenehmes wie Nahrung, Schutz und einen Partner suchen und Unangenehmes wie unsere natürlichen Feinde meiden.

Grandin, Temple. 2006. Ich sehe die Welt wie ein fröhliches Tier. Eine Autistin entdeckt die Sprache der Tiere. Ullstein Verlag, Berlin.
(Hervorhebungen von mir)

Dass es sich dabei nicht um etwas Negatives handeln kann, dürfte wohl klar sein. Mit Seeking sind die Tiere ständig konfrontiert und wie wir es aus den Beschreibungen dieses Gefühls entnehmen können sind Interesse und Vorfreude angenehme Gefühle. Grandin weist in dem Zusammenhang auch auf den Botenstoff Dopamin hin, welcher beim Seeking eine grosse Rolle spielt und dann vermehrt ausgeschüttet wird. Der Dopaminspiegel spielt im Zusammenhang mit Drogen eine wichtige Rolle: Drogenkonsum erhöht den Dopamin-Spiegel und erzeugt ein Hochgefühl.

Zitat:
Doch inzwischen gibt es zahlreiche Belege dafür, dass sich Kokain deshalb so toll anfühlt, weil es das SEEKING-System im Gehirn stimuliert [...] Was die sich selbst stimmulierenden Ratten aktivierten waren ihre Neugier/Interesse/Vorfreude-Schaltkreise. Denn genau das vermittelt einem ein gutes Gefühl: neugierig sein, Vorfreude empfinden und ein unglaubliches Interesse an der eigenen Umwelt zeigen.

Grandin, Temple. 2006. Ich sehe die Welt wie ein fröhliches Tier. Eine Autistin entdeckt die Sprache der Tiere. Ullstein Verlag, Berlin.
(Hervorhebung von mir)

Seeking ist also nicht nur sehr wichtig, sondern ist ein Zustand, in dem sich die Tiere gerne befinden. Besonders stark stimmuliert wird dieser Reiz bei der Nahrungssuche und bei der Suche nach Neuem:

Zitat:
Dieser Teil des Gehirns [gemeint ist der für das Seeking zuständige Teil] beginnt zu feuern, wenn das Tier Anzeichen dafür entdeckt, dass sich in seiner unmittelbaren Umgebung Nahrung befindet - stellt das Feuern jedoch ein, wenn die Nahrung tatsächlich entdeckt wird. [...] Allein die Suche beschert dem Tier das absolute Hochgefühl.

[...]

Was ich als Novetly seeking (Suche nach Neuem) bezeichne - also den Wunsch eines Tieres, neue Gegenstände zu berühren [bei Nagetieren wohl auch benagen ;-) ] und zu erkunden -, ist sicherlich auch nichts anderes als Neugier. Alle Tiere mögen Neues, genau wie der Mensch. Gibt man einem Tier neues Spielzeug und schenkt ihm dann nach ein paar Wochen wieder etwas Neues, wenn auch nicht ganz so Tolles, wird es immer das Neue bevorzugen.

[...]

Es ist der Reiz des Neuen, der gefällt.

Grandin, Temple. 2006. Ich sehe die Welt wie ein fröhliches Tier. Eine Autistin entdeckt die Sprache der Tiere. Ullstein Verlag, Berlin.
(Hervorhebungen von mir)

Meines Erachtens ist die Basisemotion Seeking eine äusserst bedeutsame Emotion. Die Stimulation dieses Reizes ist daher m.E. ein bedeutender Punkt in der artgerechten Tierhaltung, welcher vermutlich zum Wohlbefinden der Tiere beitragen kann. Mit den wunderbaren Ausführungen aus dem Buch von Grandin, liefert sie uns äusserst wertvolle, detailierte und aufschlussreiche Basis- und Hintergrundinformationen.

Neugierige Angst
Kommentar: der folgende Text ist ein Nachtrag, den ich nachschob und stützt sich wiederum unter anderem auf Grandins Buch.

Normalerweise erleben Tiere bloss eine Emotion nach der anderen. Wie schon erwähnt, haben sie keine gemischte Gefühle, dass sie z.B. nicht Liebe und Hass zugleich für eine Person z.B. empfinden können. Wenn sie Lieben, dann lieben sie bedingungslos. Allgerdings gibt es hier eine Ausnahme: Neugier und Angst können sehr wohl gleichzeitig auftreten. Grandin erwähnt in diesem Zusammenhang Kühe, welche zwar neugierig sich den Menschen nähern, aber sobald sich diese etwas bewegen, so weichen sie zurück, weil sie Angst haben. Sobald aber wieder alles ruhig ist nähern sie sich wieder. Wenn sie etwa noch anderthalb Meter entfernt sind bleiben sie stehen und recken den Hals um nicht noch näher kommen zu müssen als unbedingt nötig ist. Dann schnüffeln und lecken einem ab. Nach etwa 15-20 Minuten gehen sie wieder, wenn sie die Menschen genügend beschnüffelt und erkundet haben.

Etwas algemeiner ausgedrückt, und das kann man ja auch bei anderen Tieren beobachten, wenn Tiere ein unbekanntes Terrain erkunden, so sind sie sehr vorsichtig, Degus beispielsweise bewegen sich dabei sehr ruckartig, eine Gangart, welche sie als Schutz gegen Feinde sich angeeignet haben, da sie so von Feinden schlechter erkannt werden können, als wenn sie flüssig laufen würden. Wenn sie sich also auf einem solchen Terrain bewegen sind sie äusserst vorsichtig und schreckhaft, das geringste Anzeichen einer Gefahr (kleine Bewegung, Windstoss, Geräusch, etc.) lässt sie aufschrecken und je nach Intensität machen harren sie aus und machen sich fluchtbereit, weichen zurück oder fliehen tatsächlich. Erst wenn es wieder ruhig ist, setzen sie ihre vorsichtige Erkundung fort. Haben sie ihre Umgebung gut erkundet, so ziehen sie nach einer Weile sich wieder zurück. Dieses Verhalten ist gerade bei Wildfängen, die nicht an Menschen gewöhnt sind und nicht zahm sind, sehr ausgeprägt. Unsere Degus, sofern sie gut an Menschen gewöhnt sind, sind hier weitaus weniger Schreckhaft und zeigen weniger Scheu, die instinktiven Verhaltensmuster zeigen sie aber auch: werden sie erschreckt, so schrecken sie auf und suchen schnell Deckung auf, sie zeigen sich aber bei der Erkundung von neuem Terrain meist viel mutiger und weniger vorsichtig als Wildfänge.

Interessant ist, was Grandin über ängstliche Tiere schreibt. Diese seien häufig auch am neugierigsten, was vermutlich so mancher Tierhalter aus eigener Erfahrung auch bestätigen kann. Grandin beschreibt ausserdem in ihrem Buch sehr schön diese beiden Gegenspieler Neugier und Angst, wie sie miteinander auftreten. Den Absatz möchte ich euch nicht vorenthalten:

Zitat:
Die Angst vor dem Unbekannten ist etwas ganz Universelles. Jeder hat eine gewisse Angst vor dem Unbekannten, auch wenn der Mensch das Neue und Abwechslungsreiche innerhalb gewisser Grenzen durchaus zu schätzen weiss. Das selbe gilt für Tiere. Sie haben Angst vor dem Unbekannten, fühlen sich aber auch davon angezogen.

[...]

Sobald wir mit etwas Unerwartetem konfrontiert werden, wird unser Stammhirn aktiviert und schreit, "Was ist denn das? Was ist den das?" und "Ist das gefährlich?".

Grandin, Temple. 2006. Ich sehe die Welt wie ein fröhliches Tier. Eine Autistin entdeckt die Sprache der Tiere. Ullstein Verlag, Berlin.
(Hervorhebungen von mir)

Gerade den letzten Satz gefällt mir sehr, da sehr lebendig und bildhaft auch mich wirkt. Das Neue hat also nicht nur etwas positives, da Neues stets auch etwas sein kann, dass potentiell gefährlich sein könnte. Daher denke ich, ist es von grosser Bedeutung, wie die Tiere mit Neuem konfrontiert werden. Die Tiere sollten keinen Zwang haben und sollten dennoch eine vertraute Rückzugmöglichkeit haben, in die sie sich zurückziehen können, wenn sie sich dem Neuen entziehen wollen. Das sind letztlich auch Grundsätze wie sie in der Käfigreinigung empfohlen werden, nur einen Teil reinigen und erst später der Rest. So haben sie noch ein Stück intakte und geborgene Umgebung. Auf der anderen Seite können wie ja auch jeweils wieder aufs Neue beobachten, wie neugierig die Tiere bei der Neueinrichtung sind und da die Einstreu testen und das frische Stroh... oder was auch immer. Ich habe bei meinen stets das Gefühl, dass sie sich dann jeweils äusserst glücklich fühlen.

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